24. Februar 2011

Albanienbericht No1 Okt.2010










Hallo zusammen,

nun ists mal Zeit, ein Bisschen was zu erzählen aus unserem neuen Zuhause, aus Albanien...

Die Fahrt hierher hatte ein paar Überraschungen für uns auf Lager, die erste Etappe von Wien über Budapest nach Belgrad verlief problemlos, die Durchfahrt von Serbien war wunderschön, eine idyllische Landschaft, als würde man sie aus einem Film kennen („Ein weites Land“)... Die Straßen waren in Ungarn noch tolle Autobahnen, diese wurden dann in Serbien zu Landstraßen. Belgrad am nächsten Morgen wieder zu verlassen war dann schon etwas problematisch. Die Stadt spart sehr mit Hinweisschildern, somit kurvten wir eine Ewigkeit durch die Straßen bis wir es endlich schafften, die Stadt in südöstliche Richtung zu verlassen. Stunden später verirrten wir uns in den Bergen Montenegros, irgendwo hatten wir auf unerklärliche Weise ca. 100 Kilometer verloren. Als dann die regnerische Nacht hereinbrach und die Kraft zum Fahren langsam dem Ende zuging, entschlossen wir uns, in Podgorica Zwischenstation zu machen und uns den letzten Pass zur albanischen Grenze für den nächsten Tag aufzusparen.

Aufbruch morgens nach einem Kraftfrühstück in die letzte Etappe. Die Straßen waren nun nicht einmal mehr Landstraßen, sondern ein bis eineinhalb Spuren breite, kurvige und steile Wege, die dann – endlich Albanien erreicht – auch keinen Asphalt mehr trugen, sondern nur noch Schotter... Der Kontrast zwischen Montenegro und Albanien zeigt sich sofort, nicht nur auf den Straßen selbst, sondern auch am Leben rund um die Wege. Wir hatten das Vergnügen, uns mitten in einem Hochzeits-Konvoi zu befinden. Aus den Autos wurden kleine Geschenke an die Leute verteilt, als wäre es ein Faschingsumzug. Fröhliche Stimmung und bunte Farben in Form von Blumenschlangen verbreiteten sich und ganz und gar ohne Hast und Eile schlenderte die Autoschlange durch die Bergdörfer, deren Erscheinung und Aufmachung an lange vergangene Zeiten erinnern. Irgendwann erreichten wir dann doch wieder eine Art Zivilisation und näherten uns Shkodra. Laut, lebendig, schmutzig und mit chaotischem Verkehr hieß uns die Stadt willkommen... Verkehrsregeln gibt es beinahe keine. Da es Führerscheine zu kaufen gibt (ohne Schule und Prüfung) und alles auf zwei Rädern keinerlei Schulung machen muss, ist nicht einmal der Rechtsverkehr etwas wirklich Selbstverständliches. Das Autofahren in der Stadt erfordert 200prozentige Aufmerksamkeit, da jederzeit jemand auf vier, zwei oder keinen Rädern die Straße queren könnte.

Inzwischen sind ein paar Wochen vergangen, wir haben uns in der Wohnung gut eingerichtet und eingelebt. Vieles ist anders und manchmal empfiehlt es sich, nicht allzu genau hinzusehen. In Vorarlberg werden Wohnungen nicht nur khörig, sondern für Generationen gebaut, hier ist nicht nur die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen kürzer, sondern auch die der Bauten. Manch ein Polier oder Innenausbauer hätte oftmals Gründe, die Hände über dem Kopf zusammen zu schlagen. Aber für albanische Verhältnisse leben wir auf den 100 Quadratmetern recht luxuriös, ein genüssliches Frühstück bei Sonnenaufgang am Balkon im siebten Stock in Richtung Osten lässt viele Unzulänglichkeiten verblassen. Von dort aus sehen wir über die Dächer Shkodras bis zu den Bergen, auf eine katholische und eine orthodoxe Kirche sowie auf eine Moschee. Der Gesang des Muezzins, der sich mit den Kirchenglocken abwechselt, ist tagsüber erheiternd, morgens um halb fünf hat er etwas Gespenstisches. Lange vor Sonnenaufgang schallt die Stimme über die (nicht mehr lange) schlafende Stadt und klingt erhaben bis schaurig im Gegensatz zum Gesang tagsüber, wenn er sich in das Gewirr von Motoren, Stimmen und Maschinengeräuschen mischt. Angesichts dieser friedlichen Mixtur der Religionen in einem vermeintlich rückständigen Land wie Albanien erscheinen die Kämpfe in den österreichischen und internationalen Medien (die uns auch hier per Internet erreichen) um Wiener Blut, Minarettabschießung und Koranverbrennung doch sehr unreif und unterentwickelt.

Früh morgens ist auch die Zeit, in der der Rauch sich verzieht, der sich in manchen Nächten über den Dächern bildet, er stammt von verbrannten Müllhaufen. Einige erzählten uns, dies sei Absicht zur Müllbeseitigung; gelesen haben wir, dass sich der Mist durch den darin enthaltenen Biomüll selbst entzündet, denn an Mülltrennung wird hier nicht gedacht. Viele den meisten europäischen Normen nicht entsprechenden Fahrzeuge geben der Luftverunreinigung den Rest. Das führt uns direkt zur Schule, an der Wolfram unterrichtet. Dieses Jahr ist nämlich thematisch das Jahr des Umweltschutzes an der HTL und es läuft ein Projekt, das sich mit der Müllbeseitigung und der Luftgüte beschäftigt.

Wolframs Unterricht läuft ganz gut, die Schüler und Schülerinnen mögen ihn und dank intensiver Vorbereitung gelingen die Stunden. Die ersten Klassen sprechen schon relativ gut deutsch, die Vorbereitungsklassen stehen erst am Anfang, was den Unterricht noch spannender gestaltet. Er bekommt den Spagat zwischen Autorität ausstrahlen und freundschaftlicher Trainer sein ziemlich erfolgreich hin. Ich hege schon den Verdacht, dass sich hier eine Berufung gefunden hat...

Durch den Wolfurter Filmemacher und Albanienfan Reinhard Mohr ist er auch an ein anderes Vorarlberger Schulprojekt geraten, das unterstützt werden soll. Die HTL in Shkodra hat das Glück, vom österreichischen Innenministerium finanziert zu werden und ist deshalb relativ gut ausgestattet. In der anderen Schule in einem kleinen Dorf nahe Shkodra jedoch müssen mangels Fenstern Folien zum Schutz vor winterlicher Kälte und Regen angebracht werden.

Ich habe angefangen mit Büffeln für die Diplomprüfung im Dezember in Wien, habe mir einen Riesenhaufen Bücher und Unterlagen mitgebracht. Daneben arbeite ich am Deutsch als Fremdsprache – Modul online. An der Schule wird sich eventuell eine Deutsch-Förderklasse für mich ergeben, freu mich schon drauf. Ansonsten hab ich viel Zeit für mich, die ich sehr genieße und lange Liegengebliebenes aufarbeite. Enthusiastisch stürzte ich mich in den Albanischkurs. Die Anwendung von neu Gelerntem macht wirklich Spaß hier, die Menschen freuen sich über jedes albanische Wort, das man sich als AusländerIn aneignet und man und frau wird mit einem einladenden Lächeln empfangen. Und diejenigen, die man immer mal wieder trifft, verfolgen erfreut und hilfsbereit die Fortschritte. Dazwischen wird sich auch ab und zu mit italienisch oder englisch durchschlagen.

Stromausfälle sind relativ selten, die Haushalte und Beisl sind aber mit Kerzen ständig auf das Schlimmste vorbereitet, und wenn’s mal passiert gerät irgendwie niemand in Panik, es wird einfach sitzen geblieben und gewartet bis alles wieder läuft.

Das Einkaufen in Shkodra ist eine Wissenschaft für sich, an die man sich erst mal gewöhnen muss. Es gibt keinen Supermarkt, sondern viele kleine Läden, die unterschiedliches verkaufen, und den Markt, wo man für fast kein Geld frischestes und leckerstes Gemüse und Obst bekommt. Importierte Produkte sind sehr teuer, beispielsweise OB, Kakao oder Ketchup, Gewürze gibt’s kaum. Um essbare Fleischwaren zu ergattern, muss man sich früh auf den Weg zur Fleischmarkthalle machen. Es empfiehlt sich, die Beschaffenheit von Schweinen und Kühen zu kennen, denn die Stücke werden direkt vom am Hacken hängenden Tier portioniert abgetrennt. Haut, Augen, Innereien und Füße sind getrennt aufgebahrt oder – wenn nicht zum Verzehr vorgesehen – unachtsam in die Ecke geschmissen. Mir leuchtet zwar ein, dass es wohl kein frischeres Fleisch geben kann als das morgens geschlachtete, aber das Auftreiben von Gemüse liegt mir verwöhnter Weise besser, was mich mittlerweile zu einer Teilvegetarierin gemacht hat. Wahrscheinlich ist es feige, lieber abgepacktes gefrorenes Fleisch aus dem sterilen Regal zu kaufen, aber vielleicht gewöhne ich mich noch an die Fleischverkaufspraktiken hier. Schließlich waren dies wahrscheinlich glücklichere Tiere als die aus der Industriehaltung und -schlachtung, deren Produkte wir in der EU gewohnt sind. Wolfram gibt sich alle Mühe, mich vor dem Fleischeinkauf zu bewahren und es so zuzubereiten, dass die blutigen Bilder aus der Fleischmarkthalle, die sich vor dem Frühstück auf nüchternen Magen in meinem Kopf festgesetzt haben, beinahe verschwinden. Im Zuge eines Ausflugs nach dem 1,5 Stunden entfernten Tirana konnten wir uns mit viel Nützlichem eindecken, denn dort gibt’s Supermarkt und Baumarkt.

Der Tag hier in Shkodra beginnt früh, schon um sieben Uhr sind die Straßen, Cafes und Geschäfte belebt. Das beruhigt sich dann nachmittags, einige Läden schließen und die Straßen sind fast menschenleer. Später so gegen fünf erwacht die Stadt wieder zum Leben. Das Fortgehen hier besteht aus einem Rundkurs im Stadtzentrum, für den einige Straßen gesperrt werden. Hauptsächlich Frauen (aus meiner Sicht unheimlich overstyled und overdressed) spazieren den Weg entlang, die Männer sitzen in den Cafes und betrachten das Spektakel, es wird auch Heiratsmarkt genannt. Um zehn Uhr ist alles vorbei und Shkodra verfällt in Schlaf. Es gibt eine Menge netter Restaurants, Lokale und sogar Bars, aber wenn man um elf immer noch sitzt, wird man freundlich aber bestimmt des Weges geschickt, denn es wird geschlossen. Vor allem Frauen werden nachts kaum noch angetroffen, diese – jung verheiratet oder zumindest fix gebunden – haben ihren festen Platz, und dieser ist nachts zuhause. Ich hoffe, im Laufe der Zeit auch diejenigen aufzutreiben, die gegen diese Gesetzmäßigkeiten rebellieren, denn eine eigene feministische Revolte hier zu starten wäre mir dann doch zu gewagt. Eine etwas abtrünnige Frau ist mir schon begegnet, die Freundin eines Lehrerkollegen von Wolfram. Sie ist Albanerin, die in Montenegro lebt und hier in Shkodra Germanistik studiert. Ja, hier gibt es eine Uni! Und allein die Tatsache, dass Edina in einer nicht abgesegneten Beziehung mit einem Österreicher lebt, macht sie zu einer Aufrührerin. Sie war es auch, die uns erzählt hat, dass man an der Uni viele Prüfungsnoten kaufen kann. In den Vorlesungen werden von den Professoren die Preise bekannt gegeben. Edina gehört zu denen, die die Prüfungen wirklich machen wollen, und auch das macht ihr das Fortkommen nicht einfacher.

Bin mal gespannt, ob sich hier auch eine Frau findet, mit der man die Nacht lang um die Häuser ziehen kann. Meine Befürchtung davor, dass es das hier gar nicht gibt, zeigte sich in einer der ersten Nächte in Shkodra. Um halb fünf Uhr früh riss mich der Gesang des Muezzins aus dem Schlaf, und im halbwachen Zustand bildete ich mir ein, bemerkt zu haben, dass es diesmal eine Frau war, die gesungen hat. Haha, eine Frau singt vom Minarett, was für eine schräge (und großartige) Vorstellung...

Mit einigen der österreichischen LehrerkollegInnen ist ganz gut auszukommen (mit dem buddhistischen Gernot aus Lustenau lässt sich’s supi Pizza essen, Bier trinken und philosophieren). Alteingesessene haben viel Brauchbares aus ihrer Erfahrung hier zu erzählen. Ein paar sind schon etwas gefrustet von all dem, das nicht so läuft wie mans gewohnt ist, andere sind noch immer begeistert davon, dass es eben nicht wie gewohnt läuft. Der Stellenwert von Bildung ist in den Köpfen der Menschen in Albanien in vielen Fällen ein anderer als in Mitteleuropa, was den Lehrern und Lehrerinnen etwas Kampfgeist abverlangt, gleichzeitig aber auch feinfühlige Rücksicht auf die unterschiedlichen Lebenswelten hier. Aber davon lässt sich sicher im Laufe des Schuljahres mehr Erlebtes erzählen...

Adresse haben wir hier leider keine, die Vermieterin beschreibt unser Zuhause ungefähr so: „hinter dem Kino neben der Kathedrale im siebten Stock, im Zentrum von Shkodra, Albanien“. Das macht nicht nur Postsendungen, sondern auch Pizza und Wasser bestellen problematisch. Die Straßennamen in Shkodra wurden anscheinend kürzlich geändert und seither ist alles etwas undefiniert, die Straßen sind auch nicht mit Namen beschildert und der Stadtplan stimmt nicht mit der Realität überein. Hinzu kommt, dass unser Haus ganz neu ist und in dem Chaos der Straßennamen seinen Platz noch nicht gefunden hat. Über die Schule könnte man aber Post erhalten, wenn es das brauchen würde... Dass das bestellte Wasser irgendwie dann doch an unserer Wohnungstür angekommen ist, verdanken wir dem benachbarten Cafe, der daneben liegenden Security-Firma und deren Mitarbeiter, sie haben den Lieferanten (alle Beteiligten sprechen nur albanisch, und ich konnte „uj“ = Wasser) zu uns gelotst, da sie uns vom Vorbeigehen und „Miredita!“ sagen kennen. Das ist überhaupt hier unheimlich herzig, wie sich die Leute untereinander so ohne langes Nachdenken auf jede mögliche Art behilflich sind. Mit Händen, Füßen, Zetteln und Ausprobieren unterschiedlicher Sprachen wird an einer Konversation gebastelt. Da geht einem das wienerische „geh weida oida, heast, schleich di“ nicht wirklich ab, obwohl ich aus anderen Gründen manchmal an Wien denke (hätte Lust auf einen Pöbel Zone Abend im Möbl oder einen Schüfla-Cranium-Moatlaobat mit Bauchmuskelkater-Gelächter)...

Zum Badengehen am Strand um die Ecke ist es zwar inzwischen schon etwas frisch, aber in der Sonne flacken und Abendessen bei Sonnenuntergang am direkt an der Stadt liegenden Shkodra-See sind wahrlich ein Genuss, dem wir sooft es geht frönen. Es ist noch nicht wirklich Herbst, eher ein verlängerter Sommer, der neben kurzen Regeneinbrüchen nicht wie vor ein paar Wochen drückend heiße 40 Grad, sondern ein laues Lüftchen und wärmende Sonnenstrahlen spendet.

Insgesamt lautet ein erstes Resümee, dass wir uns hier sehr wohl fühlen. Deshalb haben wir uns auch entschlossen, auf mindestens ein weiteres Jahr zu verlängern, dies muss nämlich schon im Oktober entschieden werden.